Leider nicht so doll…

Buchbesprechung

„konrad wolf chronist im jahrhundert der extreme“ von Antje Vollmer und Hans-Eckardt Wenzel ist ein Trauerspiel.

Alles beginnt mit meiner Neugier: was bewegt eine prominente Politikerin und ein etwas weniger bekannter Liedermacher gemeinsam ein Buch über Konrad Wolf zu schreiben? Zumal –glaube ich– über und von keinem anderen DEFA Regisseur bereits soviel geschrieben und veröffentlicht worden ist wie zur Person Konrad Wolf. Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, habe ich das Buch gelesen. Tatsächlich bis zum Ende. Belohnt wurde meine Neugier nicht. Selbst in dem „kleinen Nachwort“ der beiden wird klar, weshalb sie sich ausgerechnet für Konrad Wolf interessieren. Stattdessen erklärt man, dass das Buch via einen Briefwechsel entstanden ist, um:

„unterschiedliche Sichten zu einem (Hervorhebung durch die Autoren, S.R.) Buch zusammenzufügen, um mit den Erfahrungen der eigenen Geschichte eigene Hoffnungen und Illusionen zu beschreiben. Die gelegentliche Disparatheit der Texte offenbart den Charakter dieser Suche.“

Ich habe weder gelegentlich noch überhaupt irgendeine (spannende) Disparatheit oder etwas über die Hoffnungen oder Illusionen des Autorenpaars herauslesen können. Weder in Beziehung der Autoren zur Person der Zeitgeschichte Konrad Wolf, noch überhaupt. Das ist schon sehr schräg. Stattdessen größtenteils Wiedergekäutes. Die Reproduktion bereits hundertmal Beschriebenes bis hin zu den klassischen Anekdoten, wie die über Christa Wolf und Anna Seghers und des Bode Museums während des 11. Plenums oder dass Konrad Wolf gerne Pelmeni fabrizierte. Gähn.

Um fair zu sein, das erste Drittel des Buches ist interessant. Hier werden vor allem die Person und das Werk von Friedrich Wolf, Vater u.a. von Konrad, und der Family nebst Nebenfrauen und Kindern unterschiedlicher Mütter beschrieben. Hier ist tatsächlich von Hoffnungen und Illusionen die Rede, die dann spätestens im Sowjet-Exil größtenteils zerstoben. Hier atmet Zeitgeschichte. Spannend erzählt, mit Gossip gewürzt. Super.

Aber dann: nur noch Gähn. Die Filme von „Koni“ werden lust- und empathielos abgehakt (wenn überhaupt). Es kommt nicht ein einziger jener Regiekollegen vor, die gemeinsam mit Wolf Schulter an Schulter die DEFA als wichtige kollektive Kreativstätte der DDR für einige Zeit berühmt und international erfolgreich machten: die Namen (hier wenige von vielen) Jürgen Böttcher, Roland Oehme, Lothar Warnecke, Heiner Carow, Gitta Nickel, Regine Kühn, Egon Günther, Rainer Simon oder Roland Gräf werden einfach nicht erwähnt. Das ist schon ein starkes Stück.

Als einzige Zeitzeugen kommen Gerhard Wolf vor, der hier und da erzählen darf, was seine Christa gesagt oder getan hat und Wolfgang Kohlhaase zu Wort. Sowie der Anarcho Angel Wagenstein, der wenigstens witzig ist. Frage ich mich, weshalb man sich nicht die Mühe gemacht hat, beispielsweise mit Tamara Trampe zum Thema zu sprechen. Die Regisseurin und DEFA Dramaturgin hat schließlich ein ähnlich kompliziertes russisch-deutsches Leben wie Wolf geführt, sie kannte ihn sicherlich ziemlich gut und hat zum Zeitpunkt des Entstehens des Buches noch gelebt. Und so muss man viele Versäumnisse und Leerstellen konstatieren: eine ausführliche Beschreibung von Wolf als Soldat der Roten Armee fehlt genauso wie komplett Wolfs Zeit als Kulturfunktionär in Halle und Wittenberg zwischen `45 und `47. Auch wird Wolfs Studentenzeit `49 bis `54 an der Moskauer Filmhochschule so gut wie nicht hinterleuchtet. Was gäbe es gerade hier zu erzählen: die Aufbruchsstimmung gerade in dieser Stadt nach dem verheerenden Krieg, noch überschattet durch Stalin, dessen Tod `53 Wolf in Moskau erlebt haben muss! Mit welchen Kommilitonen war Wolf an der WGIK zusammen? Was waren die Lehrpläne, wer waren die Unterrichtenden? Nichts davon kommt bei Vollmer/Wenzel vor, die das erzählerische wie dokumentarische Potenzial dieser Wolfschen Lebensphase ignorierten. Was ebenso fehlt, ist, dem Leser die Zerrissenheit Konrad Wolfs zwischen seiner Profession als Regisseur und zugleich als Funktionärspräsident der Akademie der Künste der DDR (`65 bis `82) wirklich deutlich zu machen: was hat Wolf an kulturpolitischen Entscheidungen mitgetragen, was konnte er ermöglich und was verhindern? Wie waren seine Arbeitsbeziehungen zu den DDR Kulturministern Bentzien, Gysi und Hoffmann und zu dem bei Filmabnahmen gefürchteten „Filmminister“ Pehnert? Zu den DEFA Direktoren Bruk, Wilkening und Mäde? Anstatt Neues, Unbekanntes und zugleich Spannendes zur DDR Kulturpolitik über die handelnde Person Konrad Wolf zu recherchieren, fällt den Autoren lediglich die tausendmal beschriebene Biermann-Ausbürgerung ein. Nichtmal Wolfs Haltung zu dem verheerenden X. DDR Schriftstellerkongress `79 ist Vollmer/Wenzel eine Zeile, gar eine Recherche wert gewesen.

So ist dieses Buch über Konrad Wolf ein Buch voller ärgerlicher Auslassungen und verpasster Chancen. Und das alles gekleidet in die edle wie teure „Andere Bibliothek“. Wer kein Sammler dieser Buchreihe ist, sollte auf Band 416 verzichten.

Antje Vollmer und Hans-Eckardt Wenzel „konrad wolf chronist im jahrhundert der extreme“ Die Andere Bibliothek Berlin 2019