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Ivan Ivanji 24. Januar 1929 – 09. Mai 2024

Lieber Ivan,

eigentlich hätte es nächste Woche so sein sollen wie immer, wenn ich Dich in Belgrad besuchte: die Fahrt mit dem Taxi zur Trise Kaclerovica, hoch mit dem klapprigen Fahrstuhl in den siebten oder achten Stock (nie werde ich mir das merken), eine feste Umarmung und dann versinke ich in einem Deiner Sessel, in denen man fürchtet, nie wieder hochzukommen. Ein Begrüßungsschnaps (der gute, mit Tito auf dem Etikett), und dann ist schon wieder alles wie immer: die Gespräche über neue Projekte, bereits angefangene Bücher, über Literaten, Journalisten, die ein Interview von Dir wollen, über Talkshows, zu denen Du eingeladen bist. Während Du zu Anekdoten abschwenkst, die ich (mit stillem Verlaub) schon längst kenne, checke ich Deine Bücherregale, ob da noch alles so steht wie gewohnt: Grass neben Brecht, Böll neben Helmut Schmidt, Frisch neben Freud. Gewohnte Sehlandschaften als Anker des Wiedersehens. Genau wie die Fotos von Tito und Deinen Eltern.

Wir machen Pläne für die Woche: Spargelessen (Spargel, ein Mitbringsel, das Du Dir um diese Jahreszeit ausbittest), Kaffee am Blumenmarkt, Essen (neuerdings im Restaurant des Jagdvereins). Wir, die Freunde, Du und ich, wir sind Gewohnheitstiere, darauf bestehen wir. Genau wie auf den spektakulären Blick von Deinem Balkon auf die erleuchtete Stadt im Abendlicht. 

Endlich wieder Belgrad!

Die zehn Jahre mit Dir. Ich habe Dich erlebt bei Lesungen und Ansprachen. In vollen Auditorien, wo Du vor Historikern oder jungen Menschen von Dir, Deinem Lebensschicksal und von Deinen Hoffnungen sprachst. Man hörte Dir zu. 

Zärtlich sage ich zu Dir: Ivan, Du bist eine Rampensau!

Wir waren zusammen in Deiner Geburtsstadt genauso wie in Buchenwald. Wir liefen über die aufgelassenen Brachen des Belgrader Messegeländes, bis Du nicht mehr wolltest; hier vergaste man Deine Mutter.

Essen mit Deiner Familie, mit gutem Wein, versteht sich. Drei Generationen, Dich eingerechnet, ein munteres Volk, zu Hause in der Welt und auf den Ozeanen.

Mit dem Fahrstuhl rumpele ich wieder runter. Zurück in die City, immer zu Fuß. Vorbei an der schlichten Gedenktafel zu Ehren jener Geisel, die hier erschossen wurden. Dein Vater war darunter.

Ach, Ivan! Dieses Mal wäre ich gekommen ohne Interviewwunsch, einfach so. Der Blumenmarkt, auf dem ich sitzen werde, wird mich immer an Deinen Unterhosenschneider erinnern, der dort Anlieger ist. Wer, außer Dir, hat wohl einen Unterhosenschneider? Ein Lebensdetail, das ich so sehr an Dir mag! Und Deine gewisse k.u.k. Eleganz, die in Deinem vorzüglichen Deutsch mitschwingt. Mitsingt.

Lieber Ivan, eigentlich hätte nächste Woche in Belgrad so sein sollen, wie immer. Es ist etwas anders gekommen. Ich ende –Dir zu ehren und mir als Hoffnung, lieber Freund– mit Heiner Müller, den Du kanntest und mochtest:

Mit der Wiederkehr der Farbe droht die

Auferstehung

ICH HABE DIR GESAGT DU SOLLST
NICHT WIEDERKOMMEN TOT IST
TOT.

Der Tod ist ein Irrtum.

PS: Interview mit Volkhard Knigge zum Tod von Ivan Ivanji auf Deutschlandfunk Kultur:

Schriftsteller und NS-Überlebender: Zum Tod von Ivan Ivanji (deutschlandfunkkultur.de)