„Mythos Suhrkamp“. Begegnungen.

„Mythos Suhrkamp“ / 2x 37 Minuten, Farbe, 16:9 / Ein Film von Siegfried Ressel / Buch und Regie Siegfried Ressel / Buch Corinna Belz / Schnitt Emma Gräf / Kamera Christoph Rohrscheidt, Siegfried Ressel, Hannes Richter, Leif Karpe und Johannes Kröger / Ton Hannes Richter / Graphik Toby Cornisch / Tonmischung /Lorenz Fischer / Transkript Julia Gerberich / Sprecher Martin Engler, Barbara Kowa / Redaktion 3sat Bettina von Pfeil / Redaktionsassistenz 3sat Astrid Wiesner, Martin Wachter / eine Koproduktion der a+r film mit ZDF und 3sat / (c) 2019
Erstausstrahlung:
jeweils 19:20 Uhr am 31. August und am 07. September 2019 auf 3sat.

https://www.3sat.de/kultur/kulturdoku/190831-deutschedebatten-suhrkamp-102.html

https://www.3sat.de/kultur/kulturdoku/190831-deutschedebatten-suhrkamp2-100.html

– Begegnungen. Hans Magnus Enzensberger (in München), Martin Walser (in Wasserburg) und Peter Bichsel (in Bellach, Schweiz). Das Betreten von Werkräumen, Schaffensräumen. Museale Stätten und Lebensräume zugleich. Sie betreten zu dürfen, das sind Geschenke. Hier wird noch geschrieben bei lebendigem Leibe. Freundlichkeiten, Wärme. Die Zeiten von Verdruß sind längst vorüber. Unsterblichkeit macht gangsicher. Keine Inanspruchnahme von Altersweisheit (ein ungelöster Fahrschein, der beim Schlüsselbund liegt). Unten das Münchener Verkehrsrauschen, draußen die graue Fläche des Bodensees vor Wasserburg. Ein Haus vor Seelandschaft. Zurückgesetzt mit großen Fenstern. Walsers Blick hinaus ins Freie. Enzensberger schaut hinunter. Kocht Kaffee. „Wollt`s Ihr einen?“ Bichsels Verwunschenheit in der Seitenstraße bei klarem Sommerwetter im Januar. Gastfreundschaft als Zeichen von Souveränität und Selbstbestimmung. Mit Bichsel als Gegenüber am Tisch Nachdenken über Unseld, eine Passage, die leider im Film nicht unterkam: Humor war nicht seine Stärke. Wenn man in einer Gesellschaft saß, wo gelacht wurde, wo Witze erzählt wurden; er konnte gar nichts anfangen mit Witzen, aber dann hat er diese Eigenschaft, was Gehörlose ab und zu haben in einer Gesellschaft: wenn gelacht wurde, war er nicht sicher, ob über ihn gelacht wird. Und da konnte er sehr sehr hilflos sein. Er kannte das nicht, dass lachen über jemanden auch Zuneigung sein kann.“

– Begegnungen. Karlheinz Braun. Neugier auf ihn nach der Lektüre seines Buches „Herzstücke“, das gerade erschienen war. Seine Kapitel über Handke, Müller, Fassbinder and so on. Seine feine  Distanziertheit zu Unseld. Ein Penthouse in Frankfurt. Ein Überflug. Drinnen Bücherregale eingepaßt im Sinne des Bauhauses. Die Fröhlichkeit unserer Telefonate setzt sich im Beisein von Kamera und Ton fort. Stunden, Tage möchte man mit Braun verbringen; Erzählungen über Frankfurt in den 50er Jahren, in den Sixtees usw. Suhrkamp, der Verlag der Autoren; Geschichten die in die Oral History des Buchwesens gehören, dem Börsenverein ist´s egal. Was bleiben wird, auf alle Fälle, sind die „Herzstücke“ des Karlheinz Braun.
– Rudolf Rach, Antipode, Wahrheitssucher, Verleger, Pariser, Lektor, Schriftsteller. Jemand, den man (noch) in der Normandie besuchen muß, über Médoc diskutierend. Ikarus, ungefesselt!
– Begegnungen. Mit Barbara Klemm. Weltumspannend.
– Begegnungen mit Altersgleichen, mit Bekannten über die Jahre: Ralf Rothmann, Thedel von Wallmoden (von dem ich das erste Mal im Leben das Wort „Alterskohorte“ hörte) und mit Thorsten Ahrend. Das „Wie gehts ?“ könnte von gestern oder von morgen sein. Vertraute Fremde, keine Kumpels. Ralf`s „Stier“, seine Lesung, damals, wie eine Verbrüderung. Ein Buch wie eine LP, was Handke immer wollte, aber nie schaffte, jedenfalls so nicht. Thedel, der mit seinem noch jungen Verleger-Hit „Weiter leben“ von Ruth Klüger in einer frosttiefen Winternacht von Göttingen aus nach P. kam und die Erfolgssonne zum Aufwärmen mitbrachte. Thorsten Ahrend, wie er in Frankfurt immer verschwitzt (wir alle schwitzen dort) über die Schultern der vorbeiziehenden Meute von Ferne aus der Wallstein Koje winkt. Altersgleiche Büchernarren, unverbesserlich, angebeult, kampfstark. „Alterskohorte“ ist ein irgendwie bescheuertes Wort.
– Hinter dem Leipziger Zoo Angela Krauß. Die Schöne, von der ich jahrzehntelang nichts gelesen hatte. Die mir eigentlich damals schon, und zwar wegen Hilbig, hätte einfallen müssen. Müssen. Angela verzeiht sowas. Ihre Aufgeregtheit von Klagenfurt 88 bebt heute noch übers Parkett. Das ist gut so und radiert über das Wort Alterskohorte tangoartig. „Dienst“; gleich möchte man mehr hören, so, wie sie den „Dienst“ liest. Nämlich wie geschrieben; als würde sie es aufschreiben, nochmal und nochmal und nochmal, solange, wie sie schon daran geschrieben hatte. Geschenke, wie gesagt.
– Was sein soll und bleibt, ist das Fragmentarische. Jede Erzählung nimmt den Platz weg für das Unerzählte. Filme, die dem Befehl des „Sendeslots“ –gezählt in Minuten und Sekunden– unterworfen sind, können nicht gedehnt werden wie Bücher. Der Timecode ist das unerbittliche Maß. Leerstellen müssen da zwangsläufug sein und bleiben. In diesem Falle: Friederike Mayröcker, Jürgen Habermas (danke Corinna, dass Du´s versucht hast, unermüdlich), Thomas Hettche, Paul Nizon undundund.
– Tausend Dank an: Michi Strausfeld, Barbara Klemm, Angela Krauß, Tanja Postpischil, Petra Hardt, Corinna Belz, Julia Gerberich, Alissa Walser, Bettina von Pfeil, Astrid Wiesner, Emma Gräf, Barbara Kowa, Raimund Fellinger, Hans Magnus Enzensberger, Martin Walser, Peter Bichsel, Rudolf Rach, Karlheinz Braun, Durs Grünbein, Ralf Rothmann, Thedel von Wallmoden, Thorsten Ahrend, Philipp Felsch, Volker Braun, Jörg Magenau, Jan Bürger, Martin Engler, und Martin Wachter.
– Stalin im Frostraum über den silbrigen Bäumen.

 

Pressetext zum Film:

PresseSuhr