Der Spiegel vs. Volkhard Knigge

Volkhard Knigge im April 2019 in Buchenwald / (c) Siegfried Ressel

Unglaublich: aus Faktenfragmenten, Andeutungen, Mutmaßungen, angeblichen Statements, die zum Teil Jahre zurückliegen, zimmert der Spiegel Autor Dr. Felix Bohr ein verheerendes Portrait über einen Menschen, der seit fast 25 Jahren als die personifizierte Integrität eines der schwierigsten historischen Orte der jüngsten deutschen Geschichte gilt: gemeint ist Volkhard Knigge, Stiftungsdirektor der Gedenkstätten Buchenwald und Dora Mittelbau; gemeint ist der Spiegel Artikel von Herrn Dr. Felix Bohr vom 04. 10. 2019.

Was es zu lesen gibt, ist eine Gemengelage aus Angeblichkeiten, Protokollen, Analysen, und stets anonym gehaltenen Anschuldigungen aus unterschiedlichen –für den Leser des Artikels nicht immer nachvollziehbaren– Zeitebenen. Stellt sich die Frage wieso und für wen? Und: gegen wen? Des Beifalls der üblichen Verdächtigen kann sich Dr. Bohr jedenfalls für seine journalistische Skandalisierung sicher sein, auch wenn es faktisch gar keinen Skandal gibt.

Zu Volkhard Knigge. Als Stiftungsdirektor hält er –salopp gesagt– den „Laden“ seit fast 25 Jahren zusammen. Und das ist nicht irgendwo, es ist die Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers Buchenwald. Nach den ersten Jahren des Nachwende-Chaos` in Buchenwald, der schwierigen betrieblichen Neufindung, der schmerzlichen Zusammenführung sehr unterschiedlicher Erfahrungshorizonte, dem Kommen und Gehen von DirektorInnen ist es ab 1995 Knigge gelungen, zu befrieden. Er hat zugehört. Er hat im Laufe der Zeit gegenwärtige wie zukünftige Entscheidungen getroffen, die der Gedenkstätte bzw. deren MitarbeiterInnen ein kreatives Arbeiten ermöglichten und Knigge hat diesen schwierigen Ort internationalisiert, gewissermaßen der Welt geöffnet. Er hat ermutigt, Geschichte neu und vor allem anders zu schreiben; er war und ist offen für neue historische wie faktische Interpretationen, wenn diese denn fundiert sind. Die Liste seiner Verdienste ist lang. Man kann sie nachlesen. Vor allem hat er sich mit seiner Person als Direktor schützend vor die Gedenkstätte und deren MitarbeiterInnen gestellt, wann immer und durch wen immer der Sinn und Zweck von Gedenken und Erinnern an diesem Ort infrage gestellt werden sollte. Und dies geschieht leider sehr sehr oft.

Knigges Ausdrucksform ist die Lakonie gepaart mit Leidenschaft. Wer daraus, so Dr. Bohr, aus anonymen Quellen „Gutsherrenmentalität“ schmiedet, ist schlicht doof. Man kommt nicht umhin, sich auf diese Dr.-Bohr-Ebene herabzulassen, um diesem Journalisten, zu raten, sich Volkhard Knigge (wenn er es noch zuläßt) tatsächlich zu nähern, physisch wie intellektuell, und nicht aus der Distanz Foul zu spielen. Knigge über die Schulter zu schauen, dabei zu sein, wenn er mit MitarbeiterInnen redet oder mit –sein tägliches Anliegen– den mittlerweile recht wenigen ehemaligen Häftlingen der Lager Buchenwald, Dora und den dazugehörigen Außenlagern ins Gespräch kommt. Das wäre journalistisch.

Liest man Dr. Bohrs Spiegel Artikel und die entsprechenden Dokumente auf der Homepage der Stiftung Buchenwald ist eigentlich alles gesagt. Die Fakten, bzw. die von Dr. Bohr ausgelassenen Fakten, sprechen für sich. Dr. Bohr hat angefragt und er bekam zeitnah und ausführlich Antworten, die er dann seinerseits ignoriert, verdreht und/oder für seine Sache umgemodelt hat. Jeder seriöse Faktencheck, auf den der Spiegel (gerade nach dem Fall Relotius) ja so stolz ist, hätte dies nicht durchgehen lassen dürfen.

Volkhard Knigge besteht auf Präzision, Seriosität, Wissenschaftlichkeit, Faktenwissen und Deutlichkeit. Aus eigener Erfahrung schreibe ich: Neugier zählt er zu einer Grundtugend, die er als wichtig und unerläßlich empfindet. Hier ist er der zugewande und empathische Gesprächspartner, der sich einläßt, der den Dialog schätzt; Erkenntnisgewinn kann dann eine gegenseitige Sache sein. Was Knigge nicht durchgehen lässt, ist Wischi-Waschi; unvorbereitet in ein Gespräch, eine Diskussion mit ihm zu gehen, ist dem Vielbeschäftigten ein Graus, reine Zeitverschwendung. Vorstellbar ist, dass er dann ungemütlich wird, unwirsch, streng. Nicht jeder mag mit ihm einverstanden sein, aber Einverständnis ist nicht immer der entscheidende Maßstab; jede funktionierende kreativ wirkende Mannschaft braucht Harmonie genauso wie Reibung.

Mit meinem Filmteam habe ich Volkhard Knigge einige Jahre begleitet; wer viel und eng mit ihm zu tun hat, erlebt ihn vor allem als Menschenfreund. Das mag eine sehr pathetische Zuschreibung sein, aber sie trifft es: ob im Dialog mit Besuchern, bei Begegnungen mit ehemaligen Häftlingen, auf Kongressen und abendlichen Runden verhält sich Volkhard Knigge zugewandt, sensibel, lebensfroh. Die vergangenen vier Jahre seines Wirkens und Lebens waren durch 2 ganz unterschiedliche Ereignisse geprägt: durch den in jeder Beziehung aufreibenden Prozess der Neugestaltung der großen Dauerausstellung von Buchenwald, die inhaltlich, ästhetisch, wissenschaftlich und didaktisch beispielhaft gelungen ist, aber auch ein hohes Maß an Einsatzbereitschaft aller MitarbeiterInnen abforderte und seine sehr ernste Erkrankung, von der Volkhard Knigge nur wenige Monate nach Eröffnung der Dauerausstellung erfuhr und die ihn mehr als ein Jahr von der Arbeit und der Gedenkstätte fernhielt. In seiner Abwesenheit und danach geschahen einige intrigante Unappetitlichkeiten in Richtung seiner Person. In dem nur scheinbar journalistisch objektiven Artikel von Dr. Bohr kann man, wenn man ihn sozusagen spiegelverkehrt liest, einiges ahnen. Wie abscheulich!