Zsuzsánna Berger-Nagy
Pädagogische Mitarbeiterin

Mehr als eine halbe Millionen Menschen aus dem In- und Ausland besuchen jährlich die Gedenkstätten Buchenwald. Rund 130.000 von ihnen, allen voran Schülergruppen, nutzten im vergangenen Jahr auch das pädagogisches Angebot der Gedenkstätte. Ob Führungen, Seminare oder ganze Projekttage – das Bildungsangebot ist vielfältig und ebenso umfangreich sind auch die Herausforderungen für die pädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Ort. Seit elf Jahren ist die Gedenkstätte Buchenwald der Arbeitsplatz von Zsuzsanna Berger-Nagy.Ihr Büro ist völlig gewöhnlich: Schreibtisch, Computer, Kaffeemaschine – nichts lässt vermuten, dass dieser Raum  früher einmal Teil der Kommandantur des Konzentrationslagers war.

Während eines Stipendiums in Berlin, im Jahr 1999 kam  Zsuzsanna Berger-Nagy zum ersten Mal nach Buchenwald und Weimar, das damals gerade Europäische Kulturhauptstadt gewesen war. Als Teilnehmerin eines internationalen Jugendprojektes lernte Berger-Nagy bei diesem Besuch auch die KZ-Gedenkstätte und deren Arbeit  kennen. Mit der Geschichte des Nationalsozialismus in Deutschland war sie vorher kaum in Berührung gekommen weil das Thema keine zentrale Rolle im Lehrplan ihrer Schulzeit in Siebenbürgen / Rumänien spielte.  Dieser erste Aufenthalt in Weimar beeindruckte sie so nachhaltig, dass Sie sich für einen Freiwilligendienst in der Gedenkstätte entschied und später als freie Mitarbeiterin in der Gedenkstätte zu arbeiten begann.

Durch ein folgendes Germansitikstudium ist sie mehr und mehr in das Thema des Nationalsozialismus hineingewachsen, so Berger-Nagy.  Und so hat sie sich naturgemäß im Laufe der Zeit sehr intensiv mit der Geschichte des Ortes auseinandergesetzt, und die Kernaufgabe der Gedenkstätte Buchenwald, nämlich die pädagogische Vermittlung des NS-Herrschaftssystems am Beispiel des Konzentrationslagers, ist für sie die größte Herausforderung geworden.

Heute betreut Sie alle drei Teilbereiche der pädagogischen Arbeit in der Gedenkstätte, von Führungen, die eineinhalb Stunden bis zu einem ganzen Tag andauern können, über Seminare bis hin zu internationalen Begegnungen. Bei ausführlichen Programmen, die mehrere Tage in Anspruch nehmen können, arbeiten die Pädagogen der Gedenkstätten eng mit den Schulen, Lehrern und Begleitpersonen zusammen, um bereits im Vorfeld mehr über die Gruppe zu erfahren: Mit welcher Motivation kommen die Jugendlichen nach Buchenwald? Welchen Wissensstand haben sie, wie genau sind sie bereits mit der NS-Geschichte und die des Lagers vertraut? Auf dieser Grundlage werden dann gemeinsam die Tagesabläufe zusammengestellt.

Die besondere pädagogische Aufgabenstellung für Berger-Nagy besteht in den sehr unterschiedlichen Besuchergruppen, den verschiedenen Schultypen und Altersklassen. Sehr schnell muss sie sich auf die jeweilige Gruppe einlassen ohne sie genauer zu kennen, denn sie verbringt ja nur eine recht kurze Zeit mit den Jugendlichen. Und dabei stellt sie sich natürlich für vor allem die Frage: Was kann sie  in dieser so kurzen Zeit zusammen mit den Besuchern bewirken? Denn genau das ist es, was Berger-Nagy immer wieder aufs Neue motiviert: ihre Zuhörer zu erreichen, und zwar nicht nur durch das Vermitteln bloßer historischer Inhalte und Fakten. Vielmehr möchte sie die Besucher zur Reflexion des Geschehenen ermuntern und in ihnen einen Erkenntnisgewinn über NS-Herrschaft zu in Gang setzen, letztlich um auch ein Nachdenken über Verknüpfungen der geschichtlichen Ereignisse bis in die heutige Zeit hinein anzustoßen.

Der Ort des ehemaligen Konzentrationslagers ist aus ihrer Sicht eine wichtige Erfahrung für die Jugendlichen, weil sie hier z. B. die schiere Größe des Lagers erfassen können, denn über die Räumlichkeit des Ortes erschließt sich für die Besucher ganz eindrücklich im Wortsinn das Ausmaß des Verbrechens. Weiterhin haben sie hier auf dem ehemaligen Lagergelände die Möglichkeit auf Spurensuche zu gehen, die wenigen noch erhaltenen Gebäude zu besuchen, sich in Zeitzeugenberichte hineinzulesen oder ganz praktisch tätig zu werden, zum Beispiel bei der fachkundig angeleiteten Restaurierung von kleinen Fundstücken, die immer noch auf dem Lagergelände geborgen werden. Die Gedenkstätte bietet den Jugendlichen also die Chance, sich sehr viel intensiver mit der Geschichte dieses Ortes zu beschäftigen, als das im Schulalltag möglich ist.

Das bestätigen auch sehr häufig die spontanen Äußerungen der Schülergruppen: Dass ihnen der Besuch der Gedenkstätte mehr gebracht hat als der bloße Geschichtsunterricht – und das liegt laut Berger-Nagy nicht ausschließlich am Ort des ehemaligen Konzentrationslagers selbst, sondern auch an der viel intensiveren Auseinandersetzung und der längeren Zeit in der sich die Schüler hier oben auf dem Ettersberg mit dem Thema befassen können. So wecken die Konfrontationen mit Einzelschicksalen, mit den meist sehr schrecklichen Erlebnissen von Gleichaltrigen, welche als Gefangene im Lager waren, ein sehr starkes Interesse und Mitgefühl bei den Jugendlichen. Um hier besonders emotionale Reaktionen auf das Gesehene und Erlebte  bei den Schülern aufzufangen, ist es den Pädagogen der Gedenkstätte wichtig, Gespräche mit ihnen zu suchen, um ihnen damit Verständnis und Offenheit zu signalisieren, sich gemeinsam über eben Erfahrenes auszutauschen.

Die allermeisten Jugendlichen sind sehr aufgeschlossen und interessiert, aber natürlich begegnet Berger-Nagy auch Desinteresse. In jedem Fall muss sie das Verhalten der Schüler, das zum Teil, so meint sie, auch dem Alter geschuldet sein kann, ganz einfach hinnehmen. Auch wenn sie sich natürlich wünscht jeden Einzelnen gleichermaßen zu erreichen.

Den Erfolg Ihrer Arbeit kann sie aber nur im unmittelbaren Feedback am Ende eines Tages messen. Wenn die Schüler die Gedenkstätte verlassen, ist es für sie schwierig zu erfahren, wie nachhaltig ihr „Programm“ jeweils bei den Schülern angekommen ist. Wenn diese allerdings mit weiteren Fragen nach Hause gehen, wenn sie in gemeinsamen Diskussionen auch Brücken in die Gegenwart beispielsweise über Fragen der Ausgrenzung und Diskriminierung schlagen, dann kann Zsuzsánna Berger-Nagy sagen, ihre Arbeit scheint gelungen.

Ein sehr schöner und genauso wichtiger Teil ihrer Arbeit in der Gedenkstätte Buchenwald ist die individuelle Betreuung der Überlebenden an den Gedenkveranstaltungen, bei Jahrestagen oder auch ganz privaten Besuchen. Da Berger-Nagy Rumänisch und Ungarisch spricht, begleitet sie häufig Überlebende aus diesen Sprachräumen in Buchenwald und Weimar und ist dann meistens die ganze Zeit während dieser Aufenthalte in Weimar und Buchenwald an deren Seite.Éva Fahidi-Pusztai und Zsuzsánna Berger-Nagy

Durch diese Begegnungen sind inzwischen auch Freundschaften entstanden, die auch über die offiziellen Feierlichkeiten hinaus bestehen. Unter anderem mit der 90-jährigen Ungarin Éva Fahidi-Pusztai, die gerade jetzt, nämlich am 27. Januar anläßlich des 71. Jahrestages der Befreiung von Auschwitz ihre Tanzperformance „Sea Lavender oder die Euphorie des Seins“ in Erfurt aufführte.

Diese Erfahrungen, die täglichen Begegnungen mit immer neuen Besuchern der Gedenkstätte und die sehr intensiven Erlebnisse mit den Überlebenden sind für Zsuzsánna Berger-Nagy der eigentliche Sinn und das Glück, das sie durch die Arbeit in der Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers Buchenwald empfindet.

JG