Kategorie: 2020

Wer war Wieslaw Kielar / Werkstattbericht

Projekt: Wer war Wieslaw Kielar?

In den vergangenen 5 Jahren habe ich mich als Autor und Filmemacher intensiv mit dem NS-Herrschafts- und Unterdrückungssystem beschäftigt, insbesondere mit der Funktion der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Es entstand eine TV Dokumentation für 3sat: „Buchenwald. Nächste Generation“, zwei Kinofilme: „Der Mensch ist ein schöner Gedanke. Volkhard Knigge und Buchenwald“ und „langsames diesseits. vier monologe“ sowie zwei Rundfunkfeature für Deutschlandfunk Kultur: „Was bleibt? Die Literatur von Schriftstellern mit Holocausterfahrung“ und „Sind die Landschaften schön. Buchenwald oder die Suche nach der Authentizität eines historischen Ortes“.

Während dieser Arbeiten habe ich naturgemäß unzählige Texte, Schriften, Interviews, Filmmaterial u.ä. gesichtet und gelesen. Mir fiel dabei eine Leerstelle auf: Bereits 1979 erschien bei S. Fischer der 400 S. lange autobiographische Text „Anus Mundi. Fünf Jahre Auschwitz“ des polnischen Schriftstellers Wieslaw Kielar. Einige Jahre nach der Erstauflage wurde der Titel als Taschenbuch in die sog. legendäre „Schwarze Reihe“ des Verlages integriert. Er ist bis heute lieferbar. Jedoch so gut wie unbekannt, und das ist ein Phänomen und obendrein ein wirkliches Versäumnis, denn Kielar erlebte als polnischer politischer Häftling mit der Nr. 290 die Hölle von Auschwitz von Anbeginn an (1940) bis zum Herbst 1944. Er wurde dann in verschiedene deutsche Lager „evakuiert“ und überlebte nur knapp. Aus diesem Erfahrungsbereich heraus konnte Kielar das Alltagsleben in Auschwitz (er war im Stammlager sowie in Birkenau), bestehend aus Überleben oder Sterben, so genau und detailliert wie kaum kein anderer beschreiben. Der lakonische Tatsachenbericht beschreibt vielerlei Facetten von dem, was aus seiner Sicht im Lager geschah; er berichtet von der alltäglichen Unterdrückung, vom Widerstand einzelner, von der Etablierung der Häftlingshierarchien, der Grausamkeit und zugleich Korrumpierbarkeit der SS, von den moralischen Dilemmas, denen altgediente, erfahrene Häftlinge als Kapos ausgesetzt waren. Der Text ist ungemein lesbar. Er reiht sich mit seiner narrativen Stärke auf der Ebene der Werke von Primo Levi und Imre Kertész ein.

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