Unser Filmprojekt “MdB”, bzw. “Volksvertreter” ist abgedreht und wird am 04. und 05. September jeweils um 20:15 Uhr auf 3sat gesendet. Damit ist meine weit über ein Jahr währende filmische Begleitung der 5 Bundestagsabgeordneten Sylvia Canel, Thomas Feist, Heike Hänsel, Rolf Mützenich und Elisabeth Scharfenberg zu einem vorläufigen Ende gekommen.
Das Projekt setzt sich aus mehreren Versionen zusammen: “MdB” ist eine 45minütige Dokumentation über die genannten fünf “Mitglieder des Bundestages” (MdB), welche Anfang Dezember 2012 zunächst auf ZDFinfo, dann –im Januar 2013– im ZDF Hauptprogramm gelaufen ist. Mittlerweile wurde “MdB” mehrmals auf diesen beiden Sendern sowie auf Phoenix wiederholt. Aktuell ist “MdB” wieder am 07. August 2013 um 20:00 Uhr auf ZDFinfo zu sehen. Es gibt dazu eine sehr ausführlich gestaltete Homepage:
MdB – abgeordnet in den Bundestag – ZDF.de
Flankiert wurde die Erstausstrahlung von “MdB” durch 5 Beiträge/Kurzportraits über die Abgeordneten, welche aus Outtakes unseres gedrehten Materials produziert worden sind und jeweils täglich in der “ZDF-Drehscheibe” der ersten Dezemberwoche liefen. Die formatgerechten Texte für diese Beiträge entstanden durch die “Drehscheibe”-Autorin Sherin Al-Khannak. Der Text-Check, die Auswahl des Materials, sowie der Schnitt blieb uns/mir vorbehalten.
Die ZDF-Version “MdB” konzentrierte sich vor allem auf das Sein der Abgeordneten, auf deren persönlichen politischen Gestaltungsraum und die individuelle (Stimm-) Haltung zu den alltäglichen Entscheidungsfragen im Bundestag; dazu kamen –gewissermaßen als eingeblendete Meta-Daten– Informationen zu den einzelnen Abgeordneten. Dieser Informationsanteil entsprach den gestalterischen Anforderungen der vorgesehenen Sendeplätze. Meinerseits überhaupt nicht diskutabel war die die filmische Umsetzung mittels O-Ton-Montage. Ich halte sie –selbst für eher informations- und faktenlastige Dokumentationen– für das, jedenfalls für mein Gestaltungsmittel schlechthin, sobald Protagonisten im Mittelpunkt der Filmarbeit stehen, die etwas zu erzählen haben. Der Dokumentarfilm, die Dokumentation muss Neugier zu diesen Personen wecken, muss den Zuschauer zum Mitdenken, Mitfühlen, zur eigenen Imaginationslust ermutigen und ihn nicht durch einen pseudo-allwissenden Text bevormunden. Es spricht absolut für alle dieses Projekt begleitenden Redakteure, dass sie uns (Regie, Kamera, Schnitt) hier –nach intensiven und sehr kreativen Diskussionen– haben gewähren lassen.
Die Langversion “Volksvertreter” für 3sat, entstanden im Zeitraum zwischen August 2012 und Juli 2013, würde ich am ehesten als einen Essay-Dokumentarfilm bezeichnen wollen. Ich glaube, das ist mein Lieblingsetikett für diese Arbeit. Sie ist ein in der Mitte durchgeschnittener 90-Minüter, der zu jeweils 45 Minuten an zwei aufeinanderfolgenden Tagen zur Primetime gesendet wird. Die formalen Vorgaben und Absprachen haben sich auf das Notwendige beschränkt; der für mich als Filmemacher, für Christoph Rohrscheidt als Kameramann und Hannes Richter als Cutter redaktionell offen gelassene Raum war im wahrsten Sinne ein weites Feld. Und nur so kann Filmarbeit realisiert werden, die mit Menschen zu tun hat, die es nicht gewohnt sind, dass eine Kamera (und mit ihr ein ganzes Team) sie bisweilen buchstäblich Schritt für Schritt begleitet. Die gegenseitige Neugier aufeinander muss während dieser gemeinsamen Arbeit ausgelebt, Kalkül und Naivität müssen durchschritten sein. Nur so können sich immer neue Facetten der Personen vor (und hinter) der Kamera öffnen; es entsteht Vertrauen und vor allem Mut. Mut, zur Reflexion hier, Mut zur Gestaltung dort.
Die erste Hälfte des Films steht für den Zuschauer im Zeichen des Kennenlernens der fünf “Hauptdarsteller”. Wie es meistens bei Begegnungen geschieht, erfolgt die individuelle, ganz persönliche Öffnung erst nach und nach. Das ist der Rhythmus des Filmes. Es geht um die politische Arbeit, den Alltag in Berlin: die Anforderungen der Wähler, die Rede vor dem Plenum, die Konfrontation mit Lobbyisten, der Binnendruck der Bundestagsfraktion auf den einzelnen Abgeordneten (und dessen Gewissensfreiheit). Erste Einblicke. Jeder Protagonist bekommt im Film seine Zeit; es geht mir um Reflexion statt um ein Statement, Ausreden und Formulieren lassen, das Innehalten während des Redens.
Als zusätzliche Ebene kommen die Gebäude der Abgeordneten und des Bundestages in Berlin ins Spiel. Die Architektur rund um den Reichstag ist –ganz klar– eine der Macht. Die Glasfassaden meinen zwar Transparenz, die Assoziation einer Käseglocke, unter der die Politiker hermetisch abgeschlossen agieren, ergibt sich jedoch augenblicklich. Dennoch (oder gerade deshalb) haben uns diese Bauwerke mit ihrem Sichtbeton, ihren Aufzügen und Atrien, ihren Kanzeln, den funktionalen Elementen und der in die Räume gestellten Kunst immer und immer wieder dazu inspiriert, “Bilder zu machen”: Mal ganz planvoll, mal bewusst ziellos sind wir mit Kamera und Ton durch die Hallen, Räume, Gänge und Treppenhäuser gezogen und haben uns zeitweise fast verloren in ihrer Ästhetik. Impressionen entstehen, die nichts mit den alltäglichen Fernsehbildern der News-Berichterstattung zu tun haben; Politiker wie Journalistenkollegen sagen zu uns: “So habe ich das ja noch nie gesehen.”
Die zweiten 45 Minuten der “Volksvertreter” beschäftigen sich mit dem Prozess der Öffnung vor der Kamera, vor dem Zuschauer. Über die gefilmten Interaktionen, über den Lauf der Zeit des Drehs miteinander, thematisieren wir nun immer öfter die persönliche Belastung, die Inanspruchnahme des Politgeschäfts, das vieles, wenn nicht alles abverlangt. Wieviel ist man bereit von sich zu geben? Die eigene Person vollständig in den Dienst der “Sache” zu stellen, beispielsweise Lebenszeit auf endlosen Sitzungen zu vergeuden, seine mindestens berufliche Existenz täglich der öffentlichen und parteiinternen Beurteilung auszusetzen?
Es entstehen insgesamt mehrere hundert Stunden Filmaterial und damit das Problem der Auswahl: in den 90 Minuten Film können theoretisch “brutto” jeweils 18 Film-Minuten jedem der fünf Protagonisten gewidmet werden. Zieht man die Schnittbilder und jene Sequenzen ab, welche die Berliner Gebäude und die Wahlkreise der Abgeordneten thematisieren, bleiben “netto” gerade einmal um die 14 Minuten pro Protagonist übrig. Ein filmemacherisches Grundproblem, das sich immer dann massiv auftut, wenn “alles” erzählt werden soll und die im Film vorkommenden Akteure einfach großartig sind. Der Prozess des Schneidens ist immer auch zugleich der eines sehr schmerzlichen Weglassens: kill your darlings. Neben zentralen Reflexionen bleibt die Andeutung, das Fragmentarische; die Ränder, die man bewusst in der Unschärfe lässt. Eine Art Bekenntnis zur Unfertigkeit, zum nicht Abgeschlossenen.
Der Schnitt, das ist die auch erste Rate des Abschieds von einer hier so ungewöhnlich langen und sehr intensiven filmischen Zusammenarbeit mit nur einigen wenigen Protagonisten. Was bleibt, ist (neben dem entstandenen Werk) immer das Erlebnis an einem zuerst einmal ganz fremden Leben teilgenommen zu haben: als Gast, als Fragender, als Beobachter und Begleiter – aber auch als geduldeter Provokateur.
Ich danke den MdB Sylvia Canel, Heike Hänsel, Elisabeth Scharfenberg, Thomas Feist und Rolf Mützenich für ihre Geduld und ihre Bereitschaft uns machen zu lassen….
03. August 2012 Siegfried Ressel
“Volksvertreter”
2 x 45 Minuten
Buch und Regie Siegfried Ressel; Kamera Christoph Rohrscheidt; Ton und Schnitt Hannes Richter; Assistenz Emma Gräf und Cristina Ressel; Produzent Peter Hartwig; Redaktion Thomas Janssen; Leitung Anja Fix
Eine Produktion der a+r film in Zusammenarbeit mit 3sat, ZDF und ZDFinfo
Erstausstrahlung am 04. und 05. September 2013 jeweils um 20:15 Uhr